Lesungen

Auf dieser Seite findet Ihr Lesungen für die Trauung, die mir ganz besonders gut gefallen.

Viel Spaß beim Stöbern 🙂

 

Die Insel der Gefühle

Vor langer Zeit existierte einmal eine wunderschöne, kleine Insel.  Auf dieser Insel waren alle Gefühle der Menschen zu Hause: Der Humor und  die gute Laune, die Traurigkeit und die Einsamkeit, das Glück und das  Wissen und all die vielen anderen Gefühle. Natürlich lebte auch die  Liebe dort.

Eines Tages wurde den Gefühlen jedoch überraschend mitgeteilt, dass  die Insel sinken würde. Also machten alle ihre Schiffe seeklar, um die  Insel zu verlassen. Nur die Liebe wollte bis zum letzten Augenblick  warten, denn sie hing sehr an ihrer Insel. Bevor die Insel sank, bat die Liebe die anderen um Hilfe.

Als der Reichtum auf einem sehr luxuriösen Schiff die Insel verließ, fragte ihn die Liebe: “Reichtum, kannst du mich mitnehmen?”

“Nein, ich kann nicht. Auf meinem Schiff habe ich sehr viel Gold, Silber und Edelsteine. Da ist kein Platz mehr für dich.”

Also fragte die Liebe den Stolz, der auf einem wunderbaren Schiff vorbeikam. “Stolz, bitte, kannst du mich mitnehmen?”

“Liebe, ich kann dich nicht mitnehmen”, antwortete der Stolz, “hier  ist alles perfekt und du könntest mein schönes Schiff beschädigen.”

Als nächstes fragte die Liebe die Traurigkeit: “Traurigkeit, bitte nimm du mich mit.”

“Oh Liebe”, sagte die Traurigkeit, “ich bin so traurig, dass ich allein bleiben muss.”

Als die gute Laune losfuhr, war sie so zufrieden und ausgelassen, dass sie nicht einmal hörte, dass die Liebe sie rief.

Plötzlich aber rief eine Stimme: “Komm Liebe, ich nehme dich mit.”

Die Liebe war so dankbar und so glücklich, dass sie ganz und gar vergaß, ihren Retter nach seinem Namen zu fragen.

Später fragte die Liebe das Wissen: “Wissen, kannst du mir vielleicht sagen, wer es war, der mir geholfen hat?”

“Ja sicher”, antwortete das Wissen, “das war die Zeit.”

“Die Zeit?” fragte die Liebe erstaunt, “Warum hat mir die Zeit denn geholfen?”

Und das Wissen antwortete: “Weil nur die Zeit versteht, wie wichtig die Liebe im Leben ist.”

 

Der Ort, an dem der Himmel die Erde küsst

Eine alte Legend erzählt, dass es da zwei Menschen gab, die überaus  glücklich miteinander lebten. Sie waren zufrieden, mit dem was sie  hatten und miteinander teilten. Ihre Liebe wuchs durch die Jahre ihres  Zusammenlebens. Nichts und niemand konnte diese Liebe zerstören.

Eines  Tages lasen sie in einem alten Buch, dass es da irgendwo, in weiter  Ferne, vielleicht am Ende der Welt, einen Ort gäbe, wo unermessliches  Glück herrsche. Ein Ort sollte dies sein, so sagte das alte Buch, an dem  der Himmel die Erde küsst. Die beiden beschlossen, diesen Ort zu  suchen. Der Weg war lang und voller Entbehrungen.

Bald wussten sie nicht  mehr, wie lange sie schon unterwegs waren; doch aufgeben wollten sie  nicht. Fast am Ende ihrer Kraft, erreichten sie eine Tür, wie sie im  Buch beschrieben war. Hinter dieser Tür sollte es sich befinden: Das  große Glück, das Ziel ihres Hoffens und Suchens. Welch eine Spannung war  in ihnen – wie wird er aussehen, der Ort, an dem der Himmel die Erde  küsst, der Ort, an dem ein solches Glück herrscht. Sie klopften an.

Die Tür öffnete sich. Sie fassten sich an der Hand und traten ein. Da  standen sie nun – wieder mitten in ihrer Wohnung. Am Ende dieses langen  Weges waren sie wieder bei sich Zuhause angekommen. Und sie verstanden:  Der Ort, an dem der Himmel die Erde küsst, ist der Ort, an dem die  Menschen sich küssen. Der Ort, an dem der Himmel die Erde berührt, ist  der Ort, an dem die Menschen sich berühren. Der Ort, an dem der Himmel  sich öffnet, ist der Ort, an dem Menschen sich füreinander öffnen. Der  Ort des großen Glücks ist der Ort, an dem Menschen sich glücklich  machen.

 

So lieb habe ich dich

Eines Abends, als die Sonne gerade vor einem Ameisenmann und seiner  Liebsten unterging, wandte sie sich zu ihm und fragte: „Hast du mich  lieb?“ „Sicher“, antwortete er. „Aber ich liebe dich so, wie die Flüsse  den Regen lieben, wie die Blumen die Sonne und wie die Küsten das Meer“,  sagte sie und wartete auf seine Antwort. Der Ameisenmann schwieg. Er  wusste nicht, wie die Flüsse den Regen lieben, die Blumen die Sonne oder  die Küsten das Meer.

Lange nachdem seine Liebste nach Hause gegangen war, hallten ihre Worte noch nach in seinen Gedanken, immer wieder und  wieder, bis die Sonne aufging. Schließlich sagte er zu sich: Ich muss es  herausfinden. So stand er auf und ging hinüber zum Fluss.

Er kletterte über das steinige Ufer des Flusses und schob sich ganz nah an das Wasser  heran. „Entschuldigung“, sagte der Ameisenmann über das Gluckern hinweg, „kannst du mir sagen, warum du den Regen so lieb hast?“ „Ohne den Regen“, sang der Fluss, „würden meine Ufer austrocknen, und ich  würde alt werden. Jedes Mal, wenn es regnet, erneuere ich mich und werde  kräftiger. Nur durch den Regen kann ich wirklich sein.“ Wie kann meine Liebste jung bleiben, wenn sie und ich jedes Jahr älter werden?, fragte  sich der Ameisenmann. Das verstehe ich nicht. Und er wusste, dass er mit  den Blumen sprechen musste.

Er spazierte hinunter zu einem Feld voller Wildblumen. „Entschuldigung“, sagte er zu den Blumen, „könntet ihr mir  sagen, warum ihr die Sonne so lieb habt?“ Eine riesige Blume beugte sich zu dem Ameisenmann herab und sagte: „Wir lieben die Sonne, weil wir ohne sie nicht erblühen können. Unsere Blütenblätter öffnen sich nur, wenn sie von ihren warmen Strahlen berührt werden. Für dieses Glück  folgen wir der Sonne, wohin sie auch geht.“ Das verwirrte den Ameisenmann. Wie konnte er seinen Schatz ohne Blütenblätter erblühen  lassen? Ich muss noch weitere Fragen stellen, dachte der Ameisenmann.  Und er machte sich auf den Weg zum Meer.

Der Ameisenmann wanderte die  ganze Nacht hindurch, bis er das Meer erreichte. Am Morgen endlich konnte er die sandige Küste fragen: „Bitte, erzählst du mir, warum du das Meer so lieb hast?“ „Alles, was ich dazu sagen kann“, antwortete die sandige Küste, „ist, dass ich mich unter seinen Wellen sicher und geborgen fühle. Ich liebe es, wenn das Meer mich mit sich reißt. Und wenn es fortgeht, bin ich traurig. Solange bis es zurückkehrt.“

Und plötzlich vermisste der Ameisenmann seine Liebste sehr. Als er sich auf den Weg nach Hause machte, verstand er, wie die sandige Küste sich  fühlte. Er sehnte sich danach, die Hand seiner Liebsten in der seinen zu  spüren. Die Sonne ging gerade unter, als er sich seinem Zuhause  näherte, und er suchte nach seinem Schatz an ihrem gemeinsamen  Lieblingsplatz. Als er sie so allein dasitzen sah, begann sein Herz zu rasen. An ihrer Seite nahm er ihre Hand und fragte: „Weißt du, dass ich dich lieb habe?“ „Sicher“, antwortete sie. „Aber“, sagte der  Ameisenmann, „so wie das Meer den Sand der Küste mit sich nimmt, möchte ich, dass du immer bei mir bist. So wie die Sonne die Blumen zum Strahlen bringt, macht es mich glücklich, dass ich dich zum Lächeln  bringen kann, wenn du mich siehst. So wie der Regen den Fluss begehrt, sehnt sich mein Herz nach dir. Du erst machst mich vollkommen. Ohne dich kann ich nicht der sein, der ich bin.“

Der Ameisenmann wurde still, und seine Liebste sagte nichts. Sie drückte seine Hand, und beide lächelten sich an und wandten sich wieder dem Sonnenuntergang zu.

 

Die Liebe und der lange Weg des Lebens

von Phil Bosman

Wie kommen zwei Menschen zusammen, so eng zusammen, dass sie in stiller Zuneigung oder in leidenschaftlicher Begeisterung gemeinsam durchs Leben gehen wollen?

Es ist ein großes Geheimnis. Man kann nicht sagen, was die beiden so zueinander zieht. Vielleicht ein Blick, eine Bewegung, eine Bemerkung, ein Lachen.

Bei jeder Begegnung schlug das Herz schneller. Man träumte voneinander, und man beschloss, miteinander zu wohnen. Man fühlte sich zu Hause, geborgen in dem großen Geheimnis, das die Menschen „Liebe“ nennen. Man wuchs mit dem Leben des anderen zusammen, so, wie zwei Zweige an einem Stamm und aus einer Wurzel wachsen.

Aber der Lebensweg ist lang. Nicht jeden Tag läuten die Festglocken. Die erste Begeisterung geht vorüber, und es kommen viele eintönige Tage. Man merkt mit der Zeit immer mehr, dass der andere nicht nur gute Seiten hat. Du ärgerst dich und denkst vielleicht: Ich habe mich geirrt. Aber du hast dich nicht geirrt. Du bist nur ein Mensch wie viele andere Menschen auch.

Alles Leben unterliegt dem Rhythmus von Tag und Nacht, Hoch und Tief,  Ebbe und Flut. Jedes Jahr wird es Frühling und Herbst, Sommer und Winter. Hab Geduld, viel Geduld mit dir selbst und noch mehr mit dem anderen,  verlass niemals das Haus der Liebe und Treue. Die Liebe der Leidenschaft  kann losbrechen wie ein Sturm, der Menschen entwurzelt. Seine Gewalt  treibt die einen zusammen und die anderen auseinander. Aber eines Tages  legt sich auch der heftigste Orkan. Dann wird das Ausmaß der Zerstörung sichtbar. Wenn der Sturm losbricht, gerate nicht in Panik, lass nicht  alles los. Halte dich an den Wurzeln fest. Warte und hab Geduld, endlos  Geduld. Der Sturm wird vorübergehen, echte Liebe wird bleiben.

 

Das perfekte Herz

Eines Tages stand ein junger Mann in der Stadt und erklärte, dass  er das schönste Herz im ganzen Tal habe. Eine große Menschenmenge  versammelte sich und sie alle bewunderten sein Herz, denn es war  perfekt. Es gab keinen Fleck oder Fehler an ihm. Ja, sie alle gaben ihm  Recht, es war wirklich das schönste Herz, was sie je gesehen hatten!

Der junge Mann war sehr stolz und prahlte lauter über sein schönes Herz. Plötzlich tauchte ein alter Mann vor der Menge auf und sagte: „Nun, dein  Herz ist nicht mal annähernd so schön wie meins! “Die Menschenmenge und  der junge Mann schauten das Herz des alten Mannes an. Es schlug  kräftig, aber es war voller Narben, es hatte Stellen, wo Stücke entfernt und durch andere ersetzt worden waren, aber sie passten nicht richtig  und es gab einige ausgefranste Ecken. Genauer an einigen Stellen waren tiefe Furchen, wo ganze Teile fehlten. Die Leute starrten ihn an: “Wie kann er behaupten, sein Herz ist  schöner!“ dachten sie.

Der junge Mann schaute auf das Herz des alten  Mannes, sah dessen Zustand und lachte: „Du musst scherzen!“ sagte er  „Dein Herz ist mit meinem nicht zu vergleichen! Meines ist perfekt und Deines ist ein durcheinander aus Narben und Tränen!“ „Ja“ sagte der alte Mann „Deines sieht perfekt aus. Aber ich würde niemals mit Dir tauschen wollen.

Jede Narbe steht für einen Menschen, dem ich meine Liebe gegeben habe. Ich reiße ein Stück meines Herzens  heraus und reiche es ihnen und oft geben sie mir ein Stück ihres Herzens  zurück, das in die leere Stelle meines Herzens passt. Aber weil die  Stücke nicht genau sind, habe ich einige raue Kanten, die ich sehr  schätze, denn sie erinnern mich an die Liebe, die wir teilten. Manchmal habe ich auch ein Stück meines Herzens gegeben, ohne dass mir der andere ein Stück seines Herzens zurückgegeben hat. Das sind die  leeren Furchen: LIEBE geben heißt manchmal auch ein Risiko einzugehen. Auch wenn diese Furchen schmerzhaft sind, bleiben sie offen und auch sie erinnern mich an die Liebe, die ich für diese Menschen empfinde. Ich hoffe, dass sie eines Tages zurückkehren und den Platz ausfüllen werden. Erkennst du jetzt, was wahre Schönheit ist?“

Der junge Mann stand still da und Tränen rannen seine Wangen hinunter. Er ging auf den alten Mann zu, griff nach seinem perfekten jungen und schönen Herzen und  riss ein Stück heraus. Er bot es dem alten Mann mit zitternden Händen an, der setzte es sich in sein Herz. Er nahm dann ein Stück seines alten vernarbten Herzens und füllte damit die Wunde des jungen Mannes Herzens. Es passte nicht perfekt, da es einige ausgefranste Ränder hatte. Der junge Mann sah sein Herz, nicht mehr perfekt, aber schöner als je zuvor, denn er spürte die LIEBE des alten Mannes in sein Herz fließen. Sie umarmten sich und gingen weg, Seite an Seite…..

Auch wenn es mir manchesmal das Herz fast zerrissen hat, so möchte ich doch keine Narbe missen. Keine einzige…….

 

Wir wünschen Euch

Wir wünschen euch Zeit Die Zeit, die Ihr braucht, und die Zeit, die  Ihr habt, die Zeit, die vergeht, und die Zeit, die Euch bleibt, die Zeit für Euch selber und die Zeit zu zweit.

Wir wünschen Euch LIEBE. Die Liebe, die Ihr gebt, und die Liebe, die Ihr bekommt, die Liebe, die Ihr fühlt, und die Liebe, die Ihr wollt, die Liebe des Anfangs und die Liebe des Endes.

Wir wünschen Euch ZÄRTLICHKEIT. Die Zärtlichkeit, die Euch aufwärmt, die Zärtlichkeit, die Euch warm hält, die Zärtlichkeit, die Euch einfängt, die Zärtlichkeit, die Euch auffängt, die Zärtlichkeit  des Spieles und die Zärtlichkeit des Ernstfalles.

Wir wünschen Euch FREIHEIT. Die Freiheit, die Euch entfesselt, und die Freiheit, die Euch bindet, die Freiheit, die Euch ablöst, und die Freiheit, die Euch erlöst, die Freiheit zum Ich und die Freiheit zum Du.

Wir wünschen Euch  FREUNDE. Die Freunde, die Ihr mögt, und die Freunde, die Euch mögen, die Freunde, die Ihr braucht, und die Freunde, die Euch brauchen, die Freunde von früher, und die Freunde von später, und wir wünschen uns:  Eure FREUNDE zu sein!

 

Das Geheimnis der Liebe 

Am Vorabend ihrer Trauung stand eine junge Frau mit ihrer Mutter am Strand. Sie betrachtete die Sonne, die langsam im Meer versank. Da fragte sie ihre Mutter:

Mutter, mein Vater liebt dich und er ist dir immer treu  geblieben. Was muss ich tun, damit mein Mann mich immer liebt? Die Mutter schwieg und dachte nach.

Dann bückte sie sich und fuellte ihre Hände voll Sand. So stand sie bei der Tochter. Ohne etwas zu sagen, streckte sie eine Hand aus und presste ihre Finger immer fester zusammen.

Der Sand begann aus ihrer Hand zu rieseln. Je krampfhafter sie ihre Hand zusammenballte, desto schneller rieselte der Sand heraus. Als  sie schliesslich ihre Hand öffnete klebten nur noch ein paar feuchte Sandkörner an ihren Handballen und ihren Fingern.

Aber die andere Hand hatte die Mutter offen gelassen, wie eine kleine Schale.  Darin blieben die Sandkörner liegen. Sie glänzten im Licht der sinkenden Sonne. Das ist meine Antwort, sagte die Mutter leise.

 

Spuren im Sand   

Eines Nachts hatte ich einen Traum:  Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn. Vor dem dunklen Nachthimmel  erstrahlten, Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben. Und jedes Mal sah ich zwei Fußspuren im Sand, meine eigene und die meines Herrn.

Als das letzte Bild an meinen Augen vorübergezogen war, blickte ich zurück. Ich erschrak, als ich entdeckte, daß an vielen Stellen meines Lebensweges nur eine Spur zu sehen war. Und das waren gerade die schwersten Zeiten meines Lebens.

Besorgt fragte ich den Herrn: „Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen, da hast du mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein. Aber jetzt entdecke ich, daß in den schwersten Zeiten meines Lebens  nur eine Spur im Sand zu sehen ist. Warum hast du mich allein gelassen, als ich dich am meisten brauchte?“

Da antwortete er: „Mein liebes Kind, ich liebe dich und werde dich nie allein lassen, erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten. Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast, da habe ich dich getragen.“

Margaret Fishback Powers

 

Begegnungen           

Kurz vor der Hochzeit traf das Brautpaar auf einen Skeptiker. Der entsetzte sich: „Was – ihr wollt heiraten? Lest ihr denn keine  Zeitungen? Mindestens jede dritte Ehe wird heutzutage wieder geschieden. Ist es da nicht töricht, sich lebenslange Treue oder ewige Liebe zu  schwören?“

Die Braut erwiderte: „Jegliche neue Bindung ist ein Schritt ins Ungewisse, der Mut erfordert. Und jede Beziehung, auf die wir uns wirklich einlassen, birgt das Risiko, Fehler zu machen oder irgendwann wieder allein gelassen zu werden. Aber sollten wir deshalb keine Beziehungen und Bindungen mehr zulassen?“

Darüber musste der Skeptiker  erst einmal gründlich nachdenken.

Das Brautpaar ging weiter und traf einen Romantiker. Dieser wunderte sich: „Was – ihr wollt heiraten? Wollt ihr eure unbeschwerte Liebe wirklich mit einem Trauschein belasten? Ihr liebt euch doch. Wozu benötigt ihr dann noch den Segen der Kirche?“ Der Bräutigam antwortete:“Unsere Beziehung braucht ein solides Haus. Vielleicht ist es gerade der Segen Gottes, der dieses Haus vor dem Einstürzen bewahrt. Warum sollten wir dieses stützende Element nicht in Anspruch nehmen?“

Ein nachdenklicher Romantiker blieb zurück.

Die zwei aber gingen unbeirrt weiter und trauten sich, denn sie liebten sich und vertrauten darauf, dass Gott sei bei dem scheinbar Unmöglichen unterstützen würde.

 

Feuer und Wasser

Als Feuer und Wasser sich das erste Mal begegneten, waren sie  voneinander fasziniert. Das Feuer war ungestüm und temperamentvoll,  leuchtend und heiß, brodelnd und aufregend. Das Wasser hingegen floss  ausgeglichen vor sich hin, war klar und beruhigend, glitzernd und  erfrischend.

Staunend betrachteten sich Feuer und Wasser. Beide entdeckten am anderen unzählige Eigenschaften und Besonderheiten, die sie an sich nicht kannten. Und da sich Gegensätze bekanntlich anziehen, blieb es nicht aus, dass sich Feuer und Wasser ineinander verliebten.

Sie trafen sich, hatten Spaß miteinander, lernten voneinander und ergänzten sich wunderbar. Weil sie sich gegenseitig so kostbar geworden waren, beschlossen Feuer und Wasser, für immer zusammenzubleiben. Sie feierten ein großes Fest. Viele Gästen waren geladen – auch der Wind. Der schenkte ihnen eine  bauchige Flasche mit wertvollem Inhalt.

Nach der Feier öffneten Feuer und Wasser die Flasche und entnahmen daraus eine alte Schriftrolle. Auf dem Pergament stand Folgendes geschrieben: „Passt auf, dass ihr eure Individualität behaltet! Ihr seit so verschieden und schätzt dies aneinander. Hütet diesen Schatz, denn dieser ist das Geheimnis eurer Liebe. Respektiert eure Grenzen! Lernt voneinander, aber versucht nicht, euch gegenseitig umzuerziehen! Entdeckt immer wieder Neues aneinander! Glaubt nie, dass ihr das Geheimnis des anderen gelüftet habt, und achtet einander jeden Tag eures  gemeinsamen Lebens!“

Feuer und Wasser lasen die Flaschenpost aufmerksam durch und dachten darüber nach. Dann stellten sie die bauchige Flasche gut sichtbar in ihrer gemeinsamen Wohnung auf, um immer wieder an deren Inhalt erinnert  zu werden.

 

Umarme mich, geliebte Seel

von Michal Snunit

“Als der Himmel erschaffen wurde und die Erde, als die Pflanzen erschaffen wurden und die Tiere, als die Menschen erschaffen wurden, entstand auch die Sprache der Umarmungen.Die Sprache der Umarmungen ist die älteste Sprache der Welt. Es gab sie schon vor den Wörtern. Sie hat ihre eigenen Zeichen und jeder lernt sehr schnell, sie zu deuten.

Wird ein Kind geboren, nimmt es die Mutter behutsam in die Arme, damit es nicht erschrickt. Bei dieser Umarmung beginnt die Milch zu fließen. Unsere erste Nahrung kommt aus der Umarmung und ist warm und angenehm. Empfindet das auch die Erde, wenn der Himmel sie berührt, wenn er sie umarmt in der langen schmalen Linie, die wir Horizont nennen? Als der Himmel erschaffen wurde und die Erde, als die Pflanzen erschaffen wurden und die Tiere, als die Menschen erschaffen wurden, entstand auch die Sprache der Umarmungen.

In dieser Sprache unterscheidet sich eine Umarmung von der anderen. Und so, wie man eine Pflanze leicht von der anderen unterscheiden kann, jedes Tier vom anderen, jeden Menschen vom anderen, kann man auch eine Umarmung von der anderen unterscheiden.

Die Umarmung von Blume und Schmetterling ist süßer als der süßeste Nektar, aber nur kurz und flüchtig. Die Blume hält still und erwartet den Schmetterling. Der Schmetterling flattert über die Blume, berührt zart ihre Blütenblätter. Dann fliegt er seiner Wege. Eine einzige Blume reicht ihm nicht. Sein Leben ist kurz und es gibt so viele Blumen. Die Umarmung von Baum und Vogel ist so lieblich wie der lieblichste Gesang. Was für ein Lied singt der Vogel für den Baum? Was flüstert er seinem Wipfel zu?

Wenn der Abend kommt, umarmt der Baum den Vogel weich und warm, damit er in der kalten Luft nicht erfriert.Wenn die Sonne aufgeht, breitet der Vogel seine Flügel aus, fliegt glücklich in die Arme des Himmels, und nimmt die Umarmung mit wie einen lieben Gruß.

Der Berg umarmt den Stein. Der Fluß umarmt den Fisch. Die Wolke umarmt den Regenbogen. Deshalb fällt der Stein nicht und der Fisch trocknet nicht aus und der Regenbogen verzaubert die Welt in den Farben von Milch und Honig.

Und alle, die sich unter dem Dach des Himmels umarmen, sehen den Glanz der Sterne, die, zärtlich und wachsam, das Glück der Liebenden bewachen.

Die Umarmung von Vater und Mutter, von Mann und Frau, ist etwas ganz besonders: Es ist die Umarmung in Liebe. Als der Himmel erschaffen wurde und die Erde, als die Pflanzen erschaffen wurden und die Tiere, als die Menschen erschaffen wurden, entstand auch die Sprache der Umarmungen. Ihr Zeichen ist die Liebe.

Wer je geliebt hat und wer liebt, weiß, dass Liebe Freude ist, aber sie trägt auch Schmerz in sich, denn zum Umarmen gehören immer zwei. Wen soll der Baum umarmen, wenn er nicht den Vogel hat? Wen soll der Berg umarmen, wenn er nicht den Stein hat? Wen soll der Fluß umarmen, wenn er nicht den Fisch hat? Wir Menschen haben eine besonders reiche Sprache der Umarmungen.

Es gibt Menschen, die sich innig umarmen, und andere, die sich nur zart mit den Fingerspitzen berühren. Und wieder andere umarmen sich von weitem mit den Augen, und du kannst ihre Umarmung kaum erkennen. Es gibt Umarmungen, die den Himmel berühren, und Umarmungen, bei denen spielen die Hände verrückt. Es gibt lachende Umarmungen und ermutigende, Umarmungen gegen die Einsamkeit oder Umarmungen aus Freude. Und wieder andere Umarmungen aus Angst, die uns nicht gehen lassen wollen.

Licht berührt die Dunkelheit, die Dunkelheit sucht das Licht: Gegensätze, die sich umarmen. Eine versöhnende Umarmung nach einem Streit ist zart, nie verletzend. Eine sanfte Umarmung vor dem Schlafengehen. Eine Umarmung beim Tanzen. Eine Umarmung in einer Umarmung. Und plötzlich eine Umarmung, wenn man sich trennen muss.

Eine herzliche Umarmung, wenn man sich wieder sieht, und eine besondere Umarmung beim Abschiednehmen. Und dann gibt es noch die längst vergessene Umarmung, die voller Sehnsucht, die im Innersten des Herzens. Diese Umarmung bleibt unvergessen. Die Sprache der Umarmungen ist eine Sprache ohne Worte. In ihr hat jede Umarmung eine Bedeutung.

Was wir am meisten wünschen, ist die Umarmung, die nie endet.